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Die Kinderband namens Deichkind

Lange bevor die Hamburger Gruppe Deichkind die deutschen Charts mit absurd-komischen Tracks wie Leider geil erobert und sich als konzerthallenfüllende Electropunk-Band etabliert, beschließen die Freunde Philipp, Malte und Bartosch zusammen mit Produzent Sebastian Ende der 90er, sich im Rappen zu versuchen. Mit einem Stil, der zum Hip Hop der Zeit so gar nicht passt, fangen die drei sich zu Anfang öfter Buhrufe ein. Auf bundesweite Resonanz trifft die Crew dann aber doch, ihr Track Kabeljau Inferno verbreitet sich 1999 auch außerhalb von Hamburg, und bezüglich ihrer Karriereambitionen nehmen sie in ihren Texten, wenn auch immer mit ironischem Unterton, kein Blatt vor den Mund: „Die coolen Typen von der Kinderband namens Deichkind / Wir machen solange weiter, bis wir derbe reich sind“. Bei ihren Konzerten versammeln sie Hip Hop-Fans und solche, die das Genre mit einer kritischen Distanz interessiert, wobei ihr Tour-Begleiter DJ Phono stets für die Beats verantwortlich ist. Richtig durch die Decke geht die Gruppe ein Jahr später aufgrund der Single Bon voyage: mit einem Musikvideo in einem weißen Studio, das gar nicht noch mehr nach 2000er-Hip Hop aussehen könnte, verbreitet sich der Name Deichkind deutschlandweit, und der erste Langspieler Bitte ziehen Sie durch erscheint.

Saufmusik und anarchistischer Exzess

Die Platte stellt die Band als lyrisch wie musikalisch diverse Rapgruppe vor – mal sozialkritisch, mal ironisch-überspitzt, versehen mit hörspielartigen Interludes und einer großen Portion Hamburger Humor. Dieser Stil setzt sich mit dem 2002er Album Noch fünf Minuten Mutti fort, auf dem die vier sofort verkünden: „Niemand stoppt die Crew vom Deich!“ Was danach folgt, lässt sich wohl als Schaffenskrise bezeichnen: Malte verlässt die Band, und es bleibt jahrelang still um die Crew vom Deich. Der Bundesvision Song Contest 2005 bildet ihr Bühnencomeback und markiert eine Stilwende, wie es sie noch nie bei einer Rapgruppe gegeben hat: mit ihrem Album Aufstand im Schlaraffenland vereinen Deichkind chaotische Techno mit tanzbaren Prolltexten, und gleichzeitig werden ihre Konzerte zu beinahe dadaistischen Bühnenperformances, inklusive selbstgebastelter Müllkostüme und dem heute ikonischen Tetraeder-Hut. Ihr Hit Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah) wird geboren – und Deichkind irritieren die Hip Hop-Welt. Auf der 2008 erschienenen Platte Arbeit nervt geht dieser Trend weiter, die Band lässt sich jetzt irgendwo zwischen Saufmusik und anarchistischem Exzess verorten.

In die Konzerthallen und das Feuilleton

Nach ganz oben in den Charts klettert das Electropunk-Kollektiv aber erst mit dem nächsten Album: Befehl von ganz unten schlägt 2012 Wellen im Mainstream, die Singles Bück dich hoch und Leider geil erreichen Goldstatus, und das Album wird als Meisterstück zwischen Gesellschaftskritik und Absurdität gefeiert. Dabei geht es oft genauso brutal wie schwarzhumorig zu: „Kleine Kinderhände nähen schöne Schuhe / Meine neuen Sneakers sind: leider geil“. Mit ihren Liveshows lockt die Gruppe hunderttausende an, irgendwo zwischen Kunst und Party kleiden sie sich in Mülltüten und Neonröhren, surfen auf riesigen Fässern über die Crowd und tragen die bekannten Tetraeder-Helme. Deichkind ist heute mehr ein Konzept, weniger eine Band. Das Erfolgskonzept des Albums trägt sich auch in das 2015 erschienene Niveau Weshalb Warum. Dabei positionieren die Musiker sich auch immer wieder politisch, kritisieren die Konsumgesellschaft genauso wie nationalistische Fußballfans und datensammelnde Großkonzerne. Deichkind schaffen es damit gleichsam in die größten Konzerthallen und das Feuilleton. So sprechen sie im Titelsong ihrer Platte Wer Sagt Denn Das? über Menschen, die man mit Fakten nicht erreichen kann: „Uns ärgert, dass heute Fragen gestellt werden, die schon längst geklärt sind.“ Dass das Ganze auch vor allem für die Bühne geschrieben ist, lässt sich erahnen. Deichkind selber äußern sich zu ihren Shows aber eher bescheiden: „Unsere Bühnenshow muss immer besonders sein. Anders als bei anderen. Denn wir sind Stümper. Wir können nichts. Aber der Schwindel ist bisher noch nicht aufgeflogen.“