Mathematik HHV Records 12 Artikel

Toronto im Boom-Bap-Gewand

Aufgewachsen im Toronto der 80er und 90er Jahre wächst Lyndon Dash alias Mathematik zu einem Hip Hop -technischen Allrounder heran: mit dem Tanzen beginnt er bereits im Grundschulalter, und gemeinsam mit seiner Crew Down Ta Erf bringt er 1997 den ersten selbstbetitelten Langspieler heraus. Dieser zeigt sich im klassischen 90er-Gewand, auf groovigen Jazz und Boom-Bap-Beats seiner Kollegen Steely Dan und Wal flowt Mathematik hier in der Tradition, die einen Teil der goldenen Era des Genres markiert und im kanadischen Untergrund genauso ankommt wie an der East Coast. Im gleichen Jahr erscheint die Crew auf dem Rap Essentials Sampler des kanadischen Beatfactory-Labels, und die Einflüsse reichen hier ganz klar von Legenden wie A Tribe Called Quest bis KRS-One, während stilistische Vergleiche mit Untergrund-Helden wie Main Source und den Boogiemonsters unvermeidbar sind: die Szene in Toronto, aus der später unter anderem Drake herauswächst, bietet fruchtbaren Boden für aufkommende MCs, Producer, DJs, Breakdancer und alles, was sich zwischen Rapbattles und Straßenleben so wiederfindet. Der Untergrund lebt, und genau darin fasst Mathematik Ende der 90er Jahre Fuß, indem er sich als MC etabliert, das Handwerk des DJing lernt und bald schon seine eigenen Beats zusammenbastelt.

Ein Prophet ohne Pathos

Dass die lyrische Herangehensweise des Multitalents einer Formel folgt, ändert nichts daran, dass sein Stil sich kaum wie simple Mathematik replizieren lässt: die hohe Stimmlage des Rappers wie seine ausgefeilten Reime machen ihn zu einer lokalen Bekanntheit, und das Ganze kommt schließlich mit seiner 1999 erschienen Soloplatte Ecology ins Rollen. Tracks wie Formation und Learn to Earn bestechen durch ihre simplistische Struktur und einen traditionsbewussten Flow – Mathematik bleibt dem Untergrund treu und sieht seine Texte weniger als Battlegrundlage, sondern als ein Ventil für Weisheiten und Poesie, die den Hörer bewegen sollen. Dabei sorgen der Reichtum an Wortspielen und sein zurückgelehnter Ausdruck für prophetische Verse ohne überschwängliches Pathos, in Sachen Conscious Rap gehört er damit zu den Vorreitern der Toronto-Szene. Mathematik ist ein Hip Hop-Fundamentalist, einer der es ernst meint mit dem wahren Sound des sich immer wandelnden Genres. Das zeigt sich auch in seinen Kollaborationen, die sich über verschiedenste Namen erstrecken und mit denen er als wandelndes Qualitätssigel für die gehörige Dosis an Boom-Bap sorgt: seine Single Following Goals nimmt er mit der aus Philadelphia stammenden Rapgröße Bahamadia auf, und weiterhin generiert er Aufmerksamkeit durch seine Arbeit mit K-Cut von der Rapcrew Main Source, dem Duo Citizen Kane sowie den Dream Warriors – neben unzähligen weiteren.

Über den Wunsch, sich selbst zu bessern

Dass Mathematiks Arbeit noch lange nicht getan ist, zeigt der MC durch immer neue Solo-Releases wie das 2005 veröffentlichte No Division, auf dem er hier mit Soul Einflüssen spielt und dort seine Adapationsfähigkeit an die divers aufgestellten Beats unter Beweis stellt – seien es Tracks wie das stampfend-schräge Was, Is, Will oder das rhythmisch unorthodoxische Still the Same. Seine konstante lyrische wie auch philosophische Weiterentwicklung macht er unter anderem mit dem 2019 erschienenen Album ReAL/iS-HiM deutlich: „Ich habe jetzt mehr Weisheit in meinen Texten und spreche über verschiedenste Themen … von der sozialen und rassistichen Ungerechtigkeit um uns herum, bis hin zu den täglichen Kämpfen des Lebens und dem Wunsch, mich in Körper und Seele zu bessern“, meint er zu seinem neuen Werk. An die Hip Hop-Klassiker angelehnte Tracks wie The Motive zeigen Mathematik entschlossen spirituell wie auch als Realisten – einen, der nicht davor zurückschreckt, vergangene Werke aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und zu erneuern. Denn genau das tut er mit seinem 2022er Album No Division Vol. 2, das am Ende des ersten Teils anknüpft und versucht, sich im Hier und Jetzt zurechtzufinden: „Life is confusing at this point / But I gotta keep myself together“.