Torch HHV Records 3 Artikel

Gegen die Ideen im System

Nur wenige haben den deutschen Rap so sehr geprägt wie Frederik Hahn alias Torch – der Heidelberger ist Teil des Fundaments, auf dem die Hip-Hop-Industrie in Deutschland fußt. Seien es die Tracks mit Advanced Chemistry, die Erfindung des deutschen Freestyles, seine Rolle als Moderator in der ersten Rap-Fernsehserie, sein Label 360° Records oder seine historische Soloplatte Blauer Samt: der vielzitierte und oft kopierte Rapper hat wie kein Anderer Meilensteine gesetzt. 1971 geboren, wächst Hahn mit Graffiti und Tanz auf und begeistert sich für das, was in Sachen Hip-Hop in den USA der 80er Jahre passiert – der Teenager fängt auch mit dem Rappen an, zuerst aber auf Englisch. Schon früh vernetzt er sich mit der Zulu Nation, gemeinsam mit Toni-L, Linguist, DJ Mike MD und Gee One gründet er 1987 die Crew Advanced Chemistry. Nach den gewaltsamen ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 bringt die Gruppe den Track Fremd im eigenen Land heraus und zieht landesweit Aufmerksamkeit auf sich, indem sie alltäglichen Rassismus in ihren Lyrics einfängt: „Das Problem sind die Ideen im System“. Als Alternative zu den Fantastischen Vier bieten Advanced Chemistry aus der Realität gegriffene Texte, die Gesellschaftskritik als Priorität sehen und Rapmusik als eine universelle Sprache durch die sozialen Schichten hindurch.

Das Fundament für die nächste Generation

Das erste und einzige Album der Crew kommt 1995 in die Läden, außerdem touren sie jetzt weltweit mit Acts wie den Stereo MC’s. Daneben gründet Torch das MZEE, und MTV begeistert sich in einem Beitrag für die Szene rund um den rappenden Fackelhalter, der daraufhin selber zum Moderator in der VIVA-Serie Freestyle wird: die Sendung spielt eine bedeutende Rolle dabei, die deutsche Hip-Hop-Kultur einer breiten Masse bekanntzumachen. Mit seinem selbstgegründeten Label 360° Records gibt er dann seiner eigenen Crew, aber auch Untergrundpoeten wie Curse und Blumentopf Raum, und genauso wie in unzähligen weiteren Projekten findet Torch sich im internationalen Kollaborationsprojekt Blitz Mob wieder. Seine Arbeit in den 90er Jahren kulminiert schließlich in seinem Soloalbum Blauer Samt, an dem der Rapgigant jahrelang arbeitet – im Jahr 2000 ist es soweit, und das monumentale Werk erblickt das Licht der Hip-Hop-Welt. Tracks wie Gewalt oder Sex und Wir waren mal Stars gelten für die nächste Generation an MCs als Grundlage und sind bald auch Rap-Laien bekannt – die 23 Tracks werden analysiert, zitiert, gesampelt und gelten in der Szene als Meisterwerk. Torch leuchtet mit seinem Blauen Samt nämlich in die Zukunft des Genres, zeigt sich nostalgisch, mal mit psychologischem Kommentar, immer gesellschaftskritisch und zeitgenössisch – nicht nur Marsimoto und Audio88 & Yassin benennen schließlich ganze Alben nach diesem Album.

Hip-Hop als Lebenselixier

Dass Torch sich seiner Rolle als Lichtblick im frühen Deutschrap bewusst ist, dass der Mann den Hip-Hop atmet und die Kultur als sein Lebenselixier handelt, macht er in beinahe jeder Zeile deutlich: „Ich banne Phasen meines Lebens auf einen Beat / Lass‘ Musik dorthin gehen, wohin mein Geist mich zieht“. Sein lyrischer Ausdruck ist bereits seit den Chemistry-Tagen klar und deutlich – der Rapper nutzt simple Sprache, um das Komplexe auszudrücken, und wird so zum Wegbereiter für seine Nachfolger. Im Vergleich ist der textliche Anspruch heute zwar höher als noch zu Zeiten des Blauen Samts, trotzdem berufen sich die Stars von heute auf den fanatischen Fackelhalter. Und dieser gibt das Feuer mit Freude weiter: „Ihr habt jetzt den Stress und wir den Spaß“. Als Rapper meldet er sich mittlerweile nur noch selten zu Wort, seinen Legendenstatus als Protagonist der Szeneanfänge wird er allerdings für immer tragen. Mit dem Heidelberg-Mixtape gedenkt er 2008 seiner Heimatstadt, heute ist er als DJ, Organisator und sogar als Dozent für Hip-Hop tätig. Die Message dabei ist simpel: „Ich verlang‘ nicht viel, nur dass ihr euch daran erinnert“.