Aphex Twin HHV Records 16 Artikel

Der neue Acid-Liebling der Piratensender

Elektronische Musik ohne Aphex Twin – das wäre wie Hip Hop ohne die 90er Jahre. Der „Mozart der Moderne“, wie manche ihn umstrittener Weise bezeichnen, hat wie kein anderer den Techno sowie die Ambient-Musik der letzten Jahrzehnte geprägt – zumindest soweit, dass das horrorhafte Cover-Grinsen des Briten Richard D. James auch außerhalb des Genres den meisten Musikkennern geläufig sein sollte. Im englischen Cornwall der 80er Jahre aufgewachsen, interessiert James sich bereits im Teenageralter für Musik – vor allem als Protest gegen die „furchtbaren“ Platten von the Jesus and Mary Chain, die seine Schwester hört. In London beginnt der Hype um den Acid-House, und inspiriert von der jungen Rave-Kultur produziert er 1991 im zarten Alter von 19 Jahren zusammen mit seinem Freund Tom Middleton die Analogue Bubblebath EP – und die Szene dreht durch. Das Britische Mixmag lobt das Werk in den Himmel, die lokalen Piratensender haben einen neuen Acid-Liebling, und das belgische Label R&S Records bringt James bei sich unter. Mit den Selected Ambient Works 85-92 veröffentlicht er 1992 den ersten Langspieler, und wenn man dem Titel Glauben schenkt, dann enthält er sogar Tracks, die James mit gerade einmal 14 Jahren produziert hat. Die Ambient-Techno-Platte wird weitläufig gefeiert und prägt die 90er Jahre mit ihren atmosphärisch-melodischen Acid-Ausschweifungen.

Ein Grinsen, das den Pop prägt

Als Miterfinder der sogenannten Intelligent Dance Music macht Aphex Twin sich über den Begriff eher lustig: „Ich finde solche Begriffe einfach komisch. Sie sagen im Grunde: Das ist intelligent und alles andere ist dumm. Das ist wirklich gemein gegenüber der Musik von allen anderen. Und es bringt mich zum Lachen.“ Und auch benutzt er verschiedene Pseudonyme: als Polygon Window komponiert er 1993 das Album Surfing on Sine Waves, unter dem Namen AFX bringt er Analogue Bubblebath 3 und weitere EPs in den Jahren danach heraus. Mit seiner Platte Selected Ambient Works Volume II spaltet James 1994 die Fans, denn auf den titellosen, strikt durchnummerierten Albumtracks verabschiedet Aphex Twin sich von seinen tanzbaren Electronic -Einflüssen und versucht sich stattdessen an Ambient-Loops, die von seinen luziden Träumen inspiriert sind – ein radikal anderes Album als erwartet. Gleichzeitig inspiriert der Brite mit diesem Stilwechsel die Poplandschaft der 90er Jahre, und sogar Bands wie Radiohead hört man ihre Faszination für Aphex Twin an. James‘ szenebekanntes Grinsen ist zum ersten Mal auf dem Cover der Platte …I Care Because You Do im Jahr 1995 zu begutachten, und das Album vereint seinen Hang zum Experiment mit einem symphonischen Ansatz.

Stilsicher trotz Neuerfindung

Auf dem Richard D. James Album und den EPs Come To Daddy und Windowlicker experimentiert Aphex Twin jetzt mit einer Mischung aus Drum and Bass , Jungle und abstrakten Pads. Dabei schafft er es trotz seiner ständigen Neufindung stilsicher zu klingen, und geht immer genau dorthin, wo man ihn nicht erwartet. Auf die Jahresbestenlisten der größten Musikmagazine schafft er es schließlich immer. Sein bekanntester Song Avril 14th, unter anderem als Sample von Kanye West verwendet, findet sich auf dem 2001 erschienen Album Drukqs, das diesmal auf computergesteuerte Klavierkompositionen setzt. 2014, nach Jahren der Stille, findet sich plötzlich eine Testpressung eines unveröffentlichten Albums mit dem Titel Caustic Window, das auf eBay spektakulärer Weise für ganze 46.300€ versteigert wird. Im gleichen Jahr findet mit der Platte Syro Aphex Twins Comeback statt, und mit Computer Controlled Acoustic Instruments pt2 folgt 2015 das zweite Werk, das sich ein computergesteuertes Klavier zunutze macht. Im gleichen Jahr fängt er an, anonym über 200 unveröffentlichte Tracks auf SoundCloud hochzuladen – seine Fans finden bald heraus, dass er dahinter steckt. „Ich habe all diese Musik, und ich dachte, wenn ich sterbe, was zum Teufel sollen meine Kinder tun?“ sagt James. „Also dachte ich, ich verschenke sie einfach, dann müssen sie nicht darüber nachdenken.“