Laurent Garnier HHV Records 11 Artikel

Im Second Summer of Love

Nicht nur im Deep House Bereich ist der Name Garnier den allermeisten ein Begriff – auch im Hause Acid und Trance macht der DJ und Produzent sich dank seiner unermesslichen kreativen Palette über die Jahre breit und wächst zu einem der wichtigsten Player in der internationalen Szene heran. Aufgewachsen in Boulogne sur Seine fährt der Franzose mit 20 Jahren rüber nach England und arbeitet Ende der 80er Jahre erstmal in der Londoner Botschaft, kurz später legt er regelmäßig in den Clubs von Manchester auf. Als DJ Pedro agiert er mit seinem eklektischen Mix aus Detroit Techno und Acid House im Zentrum der aufkommenden Madchester-Bewegung: neben Indie und Neo-Psychedelia-Bands wie den Stone Roses und den Happy Mondays fällt die Aufmerksamkeit im sogenannten Second Summer of Love auf jene, die in der jungen Lebenswelt aus spontanen Raves und dem tanzbaren Genuss bewusstseinserweiternder Drogen für stampfenden Techno sorgen. Als zentrale Anlaufstelle für die neue Jugend gilt vor allem der von der Band New Order verwaltete Haçienda-Club – an diesem Knotenpunkt der Feiernden springt Laurent Garnier regelmäßig hinter die Turntables und etabliert sich als DJ-Vorreiter des Genres. Den Madchester-Einfluss nimmt er Anfang der 90er mit nach Paris: dort führt er ab sofort den Wake Up Club und bringt den Ortsansässigen die benötigte Ladung an Techno mit.

Vom Acid-House zu Soundcollagen

Der Übergang zum Produzieren eigener Tracks wird dem Franzosen immer wichtiger: erst veröffentlicht er mehrere 12“ auf dem FNAC-Label, unter anderem die heute als Szene-Klassiker bekannte EP A bout de souffle, dann gründet er zusammen mit seinem Freund Eric Morand den eigenen Verlag F Communications, wo sein erster Langspieler Shot in the Dark ein Zuhause findet. Obwohl sich die veröffentlichten LPs wohl eher als Begleitphänomen zum eigentlichen Live-Spaß mit Garnier erfühlen lassen, finden sich auch auf seiner Platte 30 im Jahr 1997 große Momente, die seine Fähigkeiten als Techno-Pionier mühelos unter Beweis stellen. Auf weniger hüftenschwingende, dafür aber in experimenteller Diversität aufgehende Tracks setzt der Produzent bereits mit dem 2000 veröffentlichten Album Unreasonable Behaviour, auf dem sich neben kratzenden Synthesizer-Melodien auch Jazz -Elemente bemerkbar machen. Noch atmosphärischer wird es auf dem 2005 aufgenommenen The Cloud Making Machine: fast keine Drums, dafür mit sentimentalen Ideen geschmückte Soundcollagen, die am ehesten noch an Filmmusik erinnern. Dass er diese Meisterleistung nicht völlig allein schaffen kann, wird durch die Gast-Talente erkennbar, welche auf seinem Werk singen, Gitarren zupfen und sich in die Tasten fühlen.

Im Exzess der Madchester-Zeit

Auch mit den 2009 herausgebrachten Tracks auf Tales of a Kleptomaniac versucht der Techno-Gigant sich am Transzendieren des sonst oft klar abgegrenzten Genres. Dass er diesen Weg nicht plötzlich eingeschlagen, sondern über die Jahre geebnet hat, macht auch der Retrospective-Sampler deutlich, auf dem wir ihn in einem Stück vom Wurzelschlagen im Paris der 90er bis in die blühende Gegenwart verfolgen können – und dass der Exzess seiner Madchester-Zeit ihn im Geiste kaum verlassen hat, dürfte spätestens bei seinen ausgiebigen DJ-Auftritten sichtbar sein. Zum Beispiel wenn er auf dem Time Warp Festival in Mannheim 2008 für ein pausenloses achtstündiges Set die Bassboxen für sich beansprucht. Schließlich sagt er selber: „Eines möchte ich klarstellen: Ich werde für den Rest meines Lebens ein DJ bleiben.“ Neben dieser lebenslangen Leidenschaft allerdings komponiert er auch für Spiel- und Dokumentarfilme und kollaboriert mit experimentellen Rock Acts wie den Limiñanas. Dass er 2017 für sein musikalisches Talent in Frankreich mit der Ehrenlegion, dem höchsten nationalen Verdienstorden, ausgezeichnet wird, markiert einmal mehr Garniers kulturelles Gewicht nicht nur in der französischen Electronic Welt – als Produzent, auch aber als Entdecker und Kurator für die Musik von anderen. Denn eigentlich geht es um das gemeinsame Musikerleben: „DJ zu sein ist für mich vor allem ein intuitives Bedürfnis, die Musik, die ich liebe, auf die eine oder andere Weise zu teilen.“